Franz Kafka

Friday, June 17, 2016

"Ein altes Blatt," by Franz Kafka: "An Old Manuscript (An Old Leaf)," English version. "Ein altes Blatt -- An Old Manuscript (An Old Leaf)," by Franz Kafka, translated in English, with Original Text in German



Franz Kafka in 1910

An Old Manuscript (alt An Old Leaf)



It looks if as there has been much neglect in the defense of our country. So far, we have not taken much care of it and have rather pursued our own work; but the recent events make us worried.
I own a shoemaker's workshop in the square in front of the imperial palace. As soon as I open my shop at dawn, I see all the streets occupied by men in arms. Yet, they are not our soldiers, but obviously nomads from the north. In some way that I do not comprehend,  they have penetrated up to the capital, which is quite far from the border. Anyway, they are here; it seems that every morning they become more and more. 
According to their nature, they dwell in open air under the sky, for they abhor living in houses. 
They spend their time sharpening their swords, tapering the shaft of their arrows, exercising on the back of their horses. Of this square, quiet and always kept obsessively clean, they made a real stable.
We actually try, at times, to get out from our shops to remove at least the worst filth, yet that happens now less and less, as our effort is useless and puts us in the danger to be stumped by the wild horses or injured by the whips. Speaking with the nomads it is not possible. They do not know our language, and they barely have one of their own. Among themselves they communicate like jackdaws. Again and again one hears this cry of jackdaws.
Our lifestyle, our institutions,  to them they are incomprehesible, as well as indifferent. Consequently, they show hostility also to any sign language: you can dislocate the jaw and squirm your hands out of the wrists, they do not understand you and will never do.
Often they make grimaces, they turn the white of their eyes, and foam swells out of their mouth, but by that it is not that they mean to say something or even frighten you; they do it because such is their nature. What they need, they take. One can not say they make use of violence: if they want something, everyone steps aside and lets everything go.
Also from my supplies they have taken away quite a bit. However, I cannot complain about it, when I look at the butcher right across for example. As soon as he brings his goods to the store, everything is snatched and devoured by the nomads. Even their horses eat meat; often a rider lies next to his horse and they both eat from the same piece of meat, each at one end. The butcher is scared and does not dare to interrupt his meat supplies. We understand the situation and collect money to support him. Were the nomads not getting meat, who knows what they would think of doing; yet, who knows what will occur to them anyways, even when they get meat every day.
Not long ago the butcher had a thought, that he could save himself the trouble of slaughtering, and brought in the morning a live ox. This must not happen again. I had to lie flat about an hour on the floor in the back of my workshop, and had to put all my clothes, blankets and cushions piled on me, so that I would not hear the roar of the ox, since the nomads were leaping from all sides, to tear away with their teeth pieces of its warm flesh. Silence had long settled before I dared to go out; as drinkers around a wine cask, they were laying, tired, around the remains of the ox.
Exactly at that time, I thought that I had seen the emperor in person in a window of the palace; otherwise he never comes out to these outer chambers, as he only lives in the innermost garden; but this time, so at least it seemed to me, at the window, his head bowed, he looked down at the hustle and bustle in front of his castle.
“What will it happen?” we all ask ourselves. “How long still will we have to bear this burden and torment? The imperial palace lured the nomads, but it does not know how to dispel them again. The gate remains closed; the guard, which before would always march in and out in a festive manner, stays behind barred windows. To us craftsmen and tradesmen is entrusted the salvation of the country;  but we are not up to such a task; neither have we ever boasted being capable of it. It is a misunderstanding; and because of this we will perish.”

From "The Tales of Franz Kafka: English Translation With Original Text In German," available as e-book on Amazon KindleiPhone, iPad, or iPod touchon NOOK Bookon Kobo, and as printed, traditional edition through Lulu.   

Ein altes Blatt



Es ist, als wäre viel vernachlässigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben uns bisher nicht darum gekümmert und sind unserer Arbeit nachgegangen; die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.
Ich habe eine Schusterwerkstatt auf dem Platz vor dem kaiserlichen Palast. Kaum öffne ich in der Morgendämmerung meinen Laden, sehe ich schon die Eingänge aller hier einlaufenden Gassen von Bewaffneten besetzt. Es sind aber nicht unsere Soldaten, sondern offenbar Nomaden aus dem Norden. Auf eine mir unbegreifliche Weise sind sie bis in die Hauptstadt gedrungen, die doch sehr weit von der Grenze entfernt ist. Jedenfalls sind sie also da; es scheint, daß jeden Morgen mehr werden.
Ihrer Natur entsprechend lagern sie unter freiem Himmel, denn Wohnhäuser verabscheuen sie. Sie beschäftigen sich mit dem Schärfen der Schwerter, dem Zuspitzen der Pfeile, mit Übungen zu Pferde. Aus diesem stillen, immer ängstlich rein gehaltenen Platz haben sie einen wahren Stall gemacht. Wir versuchen zwar manchmal aus unseren Geschäften hervorzulaufen und wenigstens den ärgsten Unrat wegzuschaffen, aber es geschieht immer seltener, denn die Anstrengung ist nutzlos und bringt uns überdies in die Gefahr, unter die wilden Pferde zu kommen oder von den Peitschen verletzt zu werden.
Sprechen kann man mit den Nomaden nicht. Unsere Sprache kennen sie nicht, ja sie haben kaum eine eigene. Untereinander verständigen sie sich ähnlich wie Dohlen. Immer wieder hört man diesen Schrei der Dohlen. Unsere Lebensweise, unsere Einrichtungen sind ihnen ebenso unbegreiflich wie gleichgültig. Infolgedessen zeigen sie sich auch gegen jede Zeichensprache ablehnend. Du magst dir die Kiefer verrenken und die Hände aus den Gelenken winden, sie haben dich doch nicht verstanden und werden dich nie verstehen. Oft machen sie Grimassen; dann dreht sich das Weiß ihrer Augen und Schaum schwillt aus ihrem Munde, doch wollen sie damit weder etwas sagen noch auch erschrecken; sie tun es, weil es so ihre Art ist. Was sie brauchen, nehmen sie. Man kann nicht sagen, daß sie Gewalt anwenden. Vor ihrem Zugriff tritt man beiseite und überläßt ihnen alles.
Auch von meinen Vorräten haben sie manches gute Stück genommen. Ich kann aber darüber nicht klagen, wenn ich zum Beispiel zusehe, wie es dem Fleischer gegenüber geht. Kaum bringt er seine Waren ein, ist ihm schon alles entrissen und wird von den Nomaden verschlungen. Auch ihre Pferde fressen Fleisch; oft liegt ein Reiter neben seinem Pferd und beide nähren sich vom gleichen Fleischstück, jeder an einem Ende. Der Fleischhauer ist ängstlich und wagt es nicht, mit den Fleischlieferungen aufzuhören. Wir verstehen das aber, schießen Geld zusammen und unterstützen ihn. Bekämen die Nomaden kein Fleisch, wer weiß, was ihnen zu tun einfiele; wer weiß allerdings, was ihnen einfallen wird, selbst wenn sie täglich Fleisch bekommen.
Letzthin dachte der Fleischer, er könne sich wenigstens die Mühe des Schlachtens sparen, und brachte am Morgen einen lebendigen Ochsen. Das darf er nicht mehr wiederholen. Ich lag wohl eine Stunde ganz hinten in meiner Werkstatt platt auf dem Boden und alle meine Kleider, Decken und Polster hatte ich über mir aufgehäuft, nur um das Gebrüll des Ochsen nicht zu hören, den von allen Seiten die Nomaden ansprangen, um mit den Zähnen Stücke aus seinem warmen Fleisch zu reißen. Schon lange war es still, ehe ich mich auszugehen getraute; wie Trinker um ein Weinfaß lagen sie müde um die Reste des Ochsen.
Gerade damals glaubte ich den Kaiser selbst in einem Fenster des Palastes gesehen zu haben; niemals sonst kommt er in diese äußeren Gemächer, immer nur lebt er in dem innersten Garten; diesmal aber stand er, so schien es mir wenigstens, an einem der Fenster und blickte mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor seinem Schloß.
»Wie wird es werden?«, fragen wir uns alle. »Wie lange werden wir diese Last und Qual ertragen? Der kaiserliche Palast hat die Nomaden angelockt, versteht es aber nicht, sie wieder zu vertreiben. Das Tor bleibt verschlossen; die Wache, früher immer festlich ein und ausmarschierend, hält sich hinter vergitterten Fenstern. Uns Handwerkern und Geschäftsleuten ist die Rettung des Vaterlandes anvertraut; wir sind aber einer solchen Aufgabe nicht gewachsen; haben uns doch auch nie gerühmt, dessen fähig zu sein. Ein Mißverständnis ist es; und wir gehen daran zugrunde.«

 

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