Franz Kafka in 1910 |
An Old Manuscript (alt An Old Leaf)
It
looks if as there has been much neglect in the defense of our country.
So far, we have not taken much care of it and have rather pursued our own work;
but the recent events make us worried.
I own a shoemaker's workshop in the square in
front of the imperial palace. As soon as I open my shop at dawn, I see all the
streets occupied by men in arms. Yet, they are not our soldiers, but obviously
nomads from the north. In some way that I do not comprehend, they have
penetrated up to the capital, which is quite far from the border. Anyway, they
are here; it seems that every morning they become more and more.
According to their nature, they dwell in open
air under the sky, for they abhor living in houses.
They spend their time sharpening their
swords, tapering the shaft of their arrows, exercising on the back of their
horses. Of this square, quiet and always kept obsessively clean, they made a
real stable.
We actually try, at times, to get out from
our shops to remove at least the worst filth, yet that happens now less and
less, as our effort is useless and puts us in the danger to be stumped by the
wild horses or injured by the whips. Speaking with the nomads it is not
possible. They do not know our language, and they barely have one of their own.
Among themselves they communicate like jackdaws. Again and again one hears this
cry of jackdaws.
Our lifestyle, our institutions, to
them they are incomprehesible, as well as indifferent. Consequently, they show
hostility also to any sign language: you can dislocate the jaw and squirm your
hands out of the wrists, they do not understand you and will never do.
Often they make grimaces, they turn the white
of their eyes, and foam swells out of their mouth, but by that it is not that
they mean to say something or even frighten you; they do it because such is
their nature. What they need, they take. One can not say they make use of
violence: if they want something, everyone steps aside and lets everything go.
Also from my supplies they have taken away
quite a bit. However, I cannot complain about it, when I look at the butcher
right across for example. As soon as he brings his goods to the store,
everything is snatched and devoured by the nomads. Even their horses eat meat;
often a rider lies next to his horse and they both eat from the same piece of
meat, each at one end. The butcher is scared and does not dare to interrupt his
meat supplies. We understand the situation and collect money to support him.
Were the nomads not getting meat, who knows what they would think of doing;
yet, who knows what will occur to them anyways, even when they get meat every
day.
Not long ago the butcher had a thought, that
he could save himself the trouble of slaughtering, and brought in the morning a
live ox. This must not happen again. I had to lie flat about an hour on the
floor in the back of my workshop, and had to put all my clothes, blankets and
cushions piled on me, so that I would not hear the roar of the ox, since the
nomads were leaping from all sides, to tear away with their teeth pieces of its
warm flesh. Silence had long settled before I dared to go out; as drinkers
around a wine cask, they were laying, tired, around the remains of the ox.
Exactly at that time, I thought that I had
seen the emperor in person in a window of the palace; otherwise he never comes
out to these outer chambers, as he only lives in the innermost garden; but this
time, so at least it seemed to me, at the window, his head bowed, he looked
down at the hustle and bustle in front of his castle.
“What
will it happen?” we all ask ourselves. “How long still will we have to bear
this burden and torment? The imperial palace lured the nomads, but it does not
know how to dispel them again. The gate remains closed; the guard, which before
would always march in and out in a festive manner, stays behind barred
windows. To us craftsmen and tradesmen is entrusted the salvation
of the country; but we are not up to such a task; neither have we ever
boasted being capable of it. It is a misunderstanding; and because of this we
will perish.”
From "The Tales of Franz Kafka: English Translation With Original Text In German," available as e-book on Amazon Kindle, iPhone, iPad, or iPod touch, on NOOK Book, on Kobo, and as printed, traditional edition through Lulu.
Ein altes Blatt
Es ist, als wäre viel
vernachlässigt worden in der Verteidigung unseres Vaterlandes. Wir haben
uns bisher nicht darum gekümmert und sind unserer Arbeit nachgegangen;
die Ereignisse der letzten Zeit machen uns aber Sorgen.
Ich habe
eine Schusterwerkstatt auf dem Platz vor dem kaiserlichen Palast. Kaum
öffne ich in der Morgendämmerung meinen Laden, sehe ich schon die
Eingänge aller hier einlaufenden Gassen von Bewaffneten besetzt. Es sind
aber nicht unsere Soldaten, sondern offenbar Nomaden aus dem Norden.
Auf eine mir unbegreifliche Weise sind sie bis in die Hauptstadt
gedrungen, die doch sehr weit von der Grenze entfernt ist. Jedenfalls
sind sie also da; es scheint, daß jeden Morgen mehr werden.
Ihrer
Natur entsprechend lagern sie unter freiem Himmel, denn Wohnhäuser
verabscheuen sie. Sie beschäftigen sich mit dem Schärfen der Schwerter,
dem Zuspitzen der Pfeile, mit Übungen zu Pferde. Aus diesem stillen,
immer ängstlich rein gehaltenen Platz haben sie einen wahren Stall
gemacht. Wir versuchen zwar manchmal aus unseren Geschäften
hervorzulaufen und wenigstens den ärgsten Unrat wegzuschaffen, aber es
geschieht immer seltener, denn die Anstrengung ist nutzlos und bringt
uns überdies in die Gefahr, unter die wilden Pferde zu kommen oder von
den Peitschen verletzt zu werden.
Sprechen kann man mit den
Nomaden nicht. Unsere Sprache kennen sie nicht, ja sie haben kaum eine
eigene. Untereinander verständigen sie sich ähnlich wie Dohlen. Immer
wieder hört man diesen Schrei der Dohlen. Unsere Lebensweise, unsere
Einrichtungen sind ihnen ebenso unbegreiflich wie gleichgültig.
Infolgedessen zeigen sie sich auch gegen jede Zeichensprache ablehnend.
Du magst dir die Kiefer verrenken und die Hände aus den Gelenken winden,
sie haben dich doch nicht verstanden und werden dich nie verstehen. Oft
machen sie Grimassen; dann dreht sich das Weiß ihrer Augen und Schaum
schwillt aus ihrem Munde, doch wollen sie damit weder etwas sagen noch
auch erschrecken; sie tun es, weil es so ihre Art ist. Was sie brauchen,
nehmen sie. Man kann nicht sagen, daß sie Gewalt anwenden. Vor ihrem
Zugriff tritt man beiseite und überläßt ihnen alles.
Auch von
meinen Vorräten haben sie manches gute Stück genommen. Ich kann aber
darüber nicht klagen, wenn ich zum Beispiel zusehe, wie es dem Fleischer
gegenüber geht. Kaum bringt er seine Waren ein, ist ihm schon alles
entrissen und wird von den Nomaden verschlungen. Auch ihre Pferde
fressen Fleisch; oft liegt ein Reiter neben seinem Pferd und beide
nähren sich vom gleichen Fleischstück, jeder an einem Ende. Der
Fleischhauer ist ängstlich und wagt es nicht, mit den Fleischlieferungen
aufzuhören. Wir verstehen das aber, schießen Geld zusammen und
unterstützen ihn. Bekämen die Nomaden kein Fleisch, wer weiß, was ihnen
zu tun einfiele; wer weiß allerdings, was ihnen einfallen wird, selbst
wenn sie täglich Fleisch bekommen.
Letzthin dachte der Fleischer,
er könne sich wenigstens die Mühe des Schlachtens sparen, und brachte am
Morgen einen lebendigen Ochsen. Das darf er nicht mehr wiederholen. Ich
lag wohl eine Stunde ganz hinten in meiner Werkstatt platt auf dem
Boden und alle meine Kleider, Decken und Polster hatte ich über mir
aufgehäuft, nur um das Gebrüll des Ochsen nicht zu hören, den von allen
Seiten die Nomaden ansprangen, um mit den Zähnen Stücke aus seinem
warmen Fleisch zu reißen. Schon lange war es still, ehe ich mich
auszugehen getraute; wie Trinker um ein Weinfaß lagen sie müde um die
Reste des Ochsen.
Gerade damals glaubte ich den Kaiser selbst in
einem Fenster des Palastes gesehen zu haben; niemals sonst kommt er in
diese äußeren Gemächer, immer nur lebt er in dem innersten Garten;
diesmal aber stand er, so schien es mir wenigstens, an einem der Fenster
und blickte mit gesenktem Kopf auf das Treiben vor seinem Schloß.
»Wie
wird es werden?«, fragen wir uns alle. »Wie lange werden wir diese Last
und Qual ertragen? Der kaiserliche Palast hat die Nomaden angelockt,
versteht es aber nicht, sie wieder zu vertreiben. Das Tor bleibt
verschlossen; die Wache, früher immer festlich ein und ausmarschierend,
hält sich hinter vergitterten Fenstern. Uns Handwerkern und
Geschäftsleuten ist die Rettung des Vaterlandes anvertraut; wir sind
aber einer solchen Aufgabe nicht gewachsen; haben uns doch auch nie
gerühmt, dessen fähig zu sein. Ein Mißverständnis ist es; und wir gehen
daran zugrunde.«
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